Etwa 300.000 Menschen in Deutschland haben eine chronisch entzündliche Darmerkrankung, die entweder als Morbus Crohn oder als Colitis ulcerosa diagnostiziert wird. Bei den meisten werden in einer Zeit intensiver Lebensplanung und Lebensgestaltung die ersten Symptome festgestellt, nämlich zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr. Heftiger Durchfall, starke Bauchschmerzen und oft auch blutige Durchfälle kennzeichnen in immer wiederkehrenden Schüben den Alltag der betroffenen Menschen.
In Deutschland wurde von führenden Experten auf dem Gebiet der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ein einzigartiges Mammut-Projekt gestartet, um die genetischen Hintergründe, erbliche und andere Ursachen der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zu erforschen. Die Entzündungen an Grenzflächen, für die der Darm kennzeichnend ist, betreffen die Grenze zur Außenwelt mit der aufgenommenen Nahrung zum menschlichen Organismus mit Blutkreislauf, Organen und anderen sterilen Strukturen. Zur Aufdeckung genetischer Ursachen wurden bisher 40 Zwillingspaare in die Untersuchungen integriert, bei denen oft ein Zwilling nicht erkrankt ist und der andere unter einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung leidet. Von diesen 40 Zwillingspaaren soll das gesamte Erbgut komplett entschlüsselt werden, um der Ursache der Erkrankung näher zu kommen, und aufgrund dieser neuen Erkenntnis verbesserte Behandlungsmethoden zu finden.
„Es ist eine riesige Datenmenge von diesen insgesamt 80 Menschen zu bewältigen“, so Professor Andreas Raedler von den Asklepios-Kliniken in Hamburg, der federführend an dem Projekt arbeitet. Die Zwillingspaare aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden nach Hamburg in das Asklepios-Westklinikum eingeladen, ein gastroenterologischer Spezialist nimmt eine Darmspiegelung vor und entnimmt gleichzeitig Gewebeproben der Darmschleimhaut, die an ein Labor der Kieler Christian-Albrechts-Universität gesendet werden. Dort findet eine Analyse des genetischen Codes gesunder und erkrankter Personen aus dem Zwillings-Kollektiv statt, die mit den modernsten genetischen Technologien durchgeführt werden. Ziel dieser Untersuchungen ist es, sowohl die Summe aller Bakterien auf der Darmoberfläche als auch die Erbsubstanz der Zwillinge vollständig vergleichend darzustellen. Dadurch wird ein entscheidender Durchbruch zum Verstehen der auslösenden Ursachen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen erwartet.
„Diese Untersuchungen erfordern einen unglaublichen technologischen Aufwand, aber auch sehr große Fallzahlen, so dass es wichtig wäre, wenn sich möglichst viele weitere Zwillingspaare für die Teilnahme an dem Projekt zur Verfügung stellen könnten“, so die beiden Leiter Professor Stefan Schreiber von der Kieler Universität und Professor Raedler von den Hamburger Asklepios-Kliniken.
Zwillinge waren schon immer interessant für solche epidemiologischen Untersuchungen, weil zweieiige Geschwister sich in derselben Gebärmutter entwickeln und eineiige Zwillinge weitgehend das gleich Erbmaterial tragen. Dies lässt eine Abschätzung des erblichen Anteils an diesen Erkrankungen zu. Bisher zeigen die Ergebnisse eine hohe Konkordanz von 56 Prozent bei eineiigen Zwillingen, die bei zweieiigen Zwillingen nur vier Prozent beträgt. Dies spricht deutlich für eine Beteiligung der Gene an der Erkrankung, es müssen aber auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen, wenn 44 Prozent der Zwillinge nicht die gleiche Krankheit entwickeln. Eine individuelle Prägung kann demnach auch von durchgemachten Infektionskrankheiten verursacht sein.
Zwillinge, bei denen eine chronisch entzündliche Darmerkrankung wie Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa vorliegt, können sich noch für die Studie anmelden.