Die Symptome der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung bleiben nicht zwingend im Jugendalter bestehen. Ein Drittel aller Kinder mit ADHS haben das Glück, dass sich die Symptomatik in der Pubertät verliert. Etwa zwei Drittel der betroffenen Kinder leiden nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen auch noch im Jugendalter an der Störung. Teilweise werden die Symptome sogar erst im Jugendalter erkennbar. Das ist vor allem bei Mädchen der Fall, die in der Kindheit eher durch Zurückgezogenheit, nicht aber durch Hyperaktivität auffielen. Das besonders bei Jungs ausgeprägte hyperaktive Verhalten nimmt mit der Pubertät meist ab. Häufig bleibt aber eine innere Unruhe oder Getriebenheit bestehen.
Bei den meisten ADHS-Kindern tritt die Pubertät spät auf. Die Probleme dieses Entwicklungsabschnitts treten jedoch deutlicher hervor als bei den Gleichaltrigen. Ablösungsprozesse von den Eltern sind ausgeprägter und nehmen teilweise für die Eltern unterträgliche Formen an. Die verzögerte Entwicklung der Teenager lässt sich daran erkennen, dass noch Verhaltensweisen vorhanden sind, die dem Jugendalter nicht mehr entsprechen, sondern vielmehr dem Kindesalter angehören. Jugendliche mit ADHS vermischen nach wie vor Realität und Fantasie so wie es Kinder bis acht Jahren tun. Es mangelt ihnen an altersentsprechendem Reflexionsvermögen und sie beharren stark auf ihrer eigenen Sichtweise. Bei Meinungsverschiedenheiten reagieren sie mit Widerworten, laut vorgebrachten Gegenargumenten und aggressivem Verhalten. Sie sind zudem sehr kritikempfindlich. Fühlt sich der Jugendliche missverstanden oder provoziert, kommt es zum unkontrollieren Wutausbruch. Autoritäten zu akzeptieren, fällt den meisten ADHS-Jugendlichen schwer. Ein stark ausgeprägter Gerechtigkeitssinn bewegt sie aber auch dazu, sich für andere spontan und vehement einzusetzen.
Die geringe Fähigkeit zur Ausdauer setzt sich im Jugendalter fort, teilweise gepaart mit mangelndem Antrieb und Interesselosigkeit. Die Berufswahl gestaltet sich daher extrem schwierig. Wie zur Kindergarten- und Schulzeit stoßen die charakteristischen Verhaltensmuster auch in der Berufsausbildung auf Ablehnung und mangelndes Verständnis. Sie wirken auf Arbeitgeber missgelaunt, desinteressiert und faul. Rebellisches und vorlautes Verhalten führen oft dazu, dass das Arbeitsverhältniss schnell wieder gelöst wird. Manche Teenager sind zwar überwiegend unauffällig, plötzliche heftige Wutausbrüche erschweren jedoch das Verhältnis zu den Arbeitskollegen.
Vordergründig wirken Jugendliche mit ADHS völlig von sich überzeugt und selbstbewußt. Hinter dem egoistischen Verhalten verbirgt sich aber meist eine große Verletzlichkeit. Sie leiden darunter, dass sie nicht so sind wie andere. Entweder resignieren sie, oder sie wollen um jeden Preis akzeptiert werden. Mädchen entwickeln mitunter eine starke Fixierung auf Äußerlichkeiten und glauben abgelehnt zu werden, weil sie nicht perfekt aussehen. Aus dieser Annahme heraus können sich Ess-Störungen oder ein Hang zur Selbstverletzung entwickeln. Manche ADHS-Jugendliche lassen sich in extremem Ausmaß tätowieren oder piercen. Häufig tun sie sich mit anderen Exoten (Peergroup) zusammen. Ihre Offenheit gegenüber allem Neuen und ihr mangelnder Sinn für Gefahreneinschätzung macht sie besonders anfällig für risikoreiches Verhalten und das Experimentieren mit Drogen. Die Jugendlichen sind häufig auf der Suche nach Extremen und wollen alles ausprobieren. Aus gemachten Fehlern lernen sie meist nicht. Sie leben im Hier und Jetzt. Für sie ist alles immer wieder neu. Die Fähigkeit abzuwägen, zu vergleichen, zu relativieren, Einsichten zu entwickeln, auch abwarten zu können und einen realistischen Überblick über die Situation zu erhalten, bleibt Jugendlichen mit ADHS lange verwehrt. Daher sind sie leicht zu beeinflussen. Zwar ist der Wunsch nach Unabhängigkeit meist sehr ausgeprägt, Jugendliche mit ADHS neigen aber dazu, sich immer wieder von anderen Personen abhängig zu machen. Aus diesem Grund werden sie auch oft viel zu früh Eltern.
Jugendliche mit ADHS sind extrem stimmunglabil. Depressive Verstimmungen treten ohne erkennbare Gründe auf und können bis zur Selbstmordgefährdung reichen. Mit heftigen Gefühlen reagieren sie, wenn sie verliebt sind. Es besteht ein starkes Bedürfnis nach Harmonie, es mangelt aber an der Fähigkeit, sich in andere einzufühlen und auf dessen Bedürfnisse einzugehen. Eifersüchtiger Überkontrolle und In-Beschlag-Nehmen des Partners bestehen, verbunden mit unkontrollierten Wutausbrüchen. Der eigene Anteil am Verhalten der Mitmenschen wird jedoch nicht erkannt. Eine gleichberechtigte Beziehung fällt ihnen daher schwer. Aus Angst vor Negativreaktionen ziehen sich die Jugendlichen oft völlig zurück. Häufig besteht eine ausgeprägte Angst vor dem Verlassenwerden. Eine Trennung wird mit heftigen Gefühlen erlebt.
Bei den von ADHS betroffenen Jugendlichen ist die Null-Bock-Mentalität deutlich stärker ausgeprägt als bei Gleichaltrigen. Das erschwert die Berufswahl. Frühzeitig unterstützte Interessen und Hobbys können diese jedoch erleichtern. Denn auf den Lieblingsgebieten besteht meist ein erstaunliches Wissen. Wenn Eltern die Interessen ihrer Kinder schon vor der Pubertät fördern und von ihren eigenen Vorstellungen ablassen, finden die Jugendlichen leichter ihren Weg.
Jugendliche mit ADHS sind ungeheuer kreativ, haben eine lebendige Fantasie und können aus dem Nichts etwas erschaffen. Oft sind sie schauspielerisch begabt und können gut moderieren. Werden ihre künstlerischen Talente gefördert, steigt auch ihr Selbstwertgefühl. Manche Jugendliche sind durch ihren Hang zum Diskutieren und Argumentieren verbal versiert und fühlen sich in einem Beruf wohl, in dem sie Verkaufstätigkeiten übernehmen können. Andere Jugendliche sind sehr hilfsbereit und setzen sich gerne für die Belange anderer ein. Viele Jugendliche mit ADHS entwickeln ein ausgeprägtes Helfersyndrom. Diese Veranlagung können sie gut in sozialen Berufen ausbauen.
Jugendliche mit ADHS sollten nicht zu früh in die völlige Unabhängigkeit entlassen werden, auch wenn der Wunsch dazu sehr groß ist. Ohne die verständnisvolle Unterstützung der Eltern kommen sie meist noch nicht zurecht. Vorhaltungen und Ermahnungen durch die Eltern helfen nicht weiter; der Jugendliche muss Erfahrungen selbst machen dürfen, braucht dazu aber starken Rückhalt in der Familie.
Da der Jugendliche mit ADHS spürt, dass er anderes ist als seine Gleichaltrigen, empfindet es als große Hilfe, wenn er von professioneller Seite Unterstützung erfährt. Daher ist es ratsam für die Eltern sich mit ihrem Teenager an einen kompetenten Ansprechpartner zu wenden. Konkrete Hilfestellung in der schwierigen Zeit der Pubertät bedeutet für die ganze Familie eine große Entlastung.