Es brummt, klingelt, summt oder piepst im Ohr. Fast jeder von uns kennt dieses Phänomen. Geräusche im Ohr, die nicht durch eine äußere Schallquelle erzeugt werden, bezeichnen Ärzte als “Tinnitus”.
Ein akuter Tinnitus klingt entweder rasch von selbst ab oder ist mit modernen Therapiemethoden behandelbar. Bei manchen Menschen werden die Ohrgeräusche jedoch zur Dauerqual und beeinträchtigen das ganze Leben. In diesen Fällen kann ein Tinnitus auch zu weiteren Störungen, vor allem Schlafstörungen, Ängste und Depressionen führen.
Der Begriff “Tinnitus” kommt aus dem Lateinischen (tinnere) und bedeutet klingen oder klirren.
Tinnitus kann akut oder chronisch auftreten. Etwa 45 Prozent der Bevölkerung haben irgendwann im Leben einmal vorübergehend Ohrgeräusche. Ungefähr acht Prozent leiden unter einem Dauergeräusch und für etwa 0,5 bis 1 Prozent stellt der Tinnitus eine einschneidende, schwere und chronische Beeinträchtigung aller Lebensbereiche dar.
Ohrgeräusche, die länger als ein viertel Jahr nicht reduziert werden können, haben sich, ähnlich wie eine Schmerzkrankheit, verselbständigt und werden chronisch.
Trotz vieler Theorien ist die Ursache von Tinnitus weiterhin unbekannt. Tinnitus kann z.B. durch Durchblutungsstörungen der kleinsten Innenohrgefäße ausgelöst werden. Diese Durchblutungsstörungen können durch viele Faktoren verursacht oder begünstigt werden.
Begleiterkrankungen von Tinnitus:
Je nach Schweregrad und Krankheitsverarbeitung besteht ein
Tinnitus ist häufig bei Menschen mit Berufen zu finden, die ein “offenes Ohr” erfordern. Tinnitus wird daher auch oft als “Lehrerkrankheit” oder “Bürgermeisterkrankheit” bezeichnet.
Etwa die Hälfte aller Tinnitus-Patienten vermuten, dass ihr chronischer Tinnitus durch Lärm und/oder Stress ausgelöst wurde. Empirische Beobachtungen unterstützen dies. Bei fast allen Tinnitus-Patienten findet sich ein Zusammenhang mit unbewältigtem Stress.
Klinische Erfahrungen in der Psychotherapie von Patienten mit chronischen Tinnitus zeigen, dass viele der Betroffenen folgende Grundhaltungen aufweisen:
Beim Tinnitus verschafft sich die Seele Gehör, sie tönt dem Patienten von innen entgegen und warnt nun aus nächster Nähe davor, sich weiter zu überfordern, nachdem der Patient distanziertere Warnungen vorher “überhört” hat.
Über die Ohren lassen wir Mitteilungen herein oder verweigern uns. Diese Zusammenhänge findet man auch in der Alltagssprache: Wenn uns etwas interessiert, sind wir “ganz Ohr”. Dinge, die uns langweilen gehen dagegen “zum einen Ohr hinein, zum anderen wieder heraus”. Mancher Schlager aus dem Radio wird zum “Ohrwurm”. Wiederholte unberechtigte Forderungen stoßen bei uns mitunter auf “taube Ohren”. Und wer “schlecht hört”,
Die Mehrzahl der Tinnitus Patienten, etwa 80 Prozent, weisen neben dem Tinnitus eine oder mehrere psychische Störungen, hauptsächlich Angststörungen und/oder Depressionen auf.
Bei vielen Patienten bestimmt der Tinnitus das ganze Leben. Sie können nicht mehr richtig schlafen, sich nicht mehr konzentrieren, ihr Denken kreist nur noch um ihr Ohrgeräusch. Vor allem nach einigen erfolglosen Therapieversuchen verlieren viele Patienten die Zuversicht, den Tinnitus “in den Griff” zu bekommen. Manche Patienten werden daraufhin depressiv und überfordern oft das Familiensystem und die behandelnden Ärzte.
Bedingt durch Konzentrationsstörungen infolge von Schlafstörungen kann der Patient manchmal zunächst seine sozialen Aufgaben nicht mehr voll ausfüllen. Dadurch kann er in Familie und Beruf zunehmend zur Störperson werden. Zunehmende Konflikte mit der Familie, mit Freunden oder am Arbeitsplatz bis hin zum Mobbing und vollständige soziale Isolation können die Folge sein.
Auf Dauer kann der Patient in einen Teufelskreis geraten:
Individuelle, interdisziplinäre Therapiekonzepte und professionelle Betreuung können dem Patienten helfen, aus dieser Situation wieder herauszufinden und neue Lebensfreude zu gewinnen.
Erfassung der Krankengeschichte (Anamnese)
Zunächst wird der Patient ausführlich zu seiner Krankheitsgeschichte, seiner Lebenssituation und bisherigen Therapien befragt.
Tinnitusanamnese
In einer Tinnitusanamnese werden Art, Dauer, Lautstärke, Belästigungsgrad und Verdeckbarkeit des Tinnitus abgeklärt. Dazu steht dem Arzt ein spezieller Tinnitusfragebogen zur Verfügung.
Hals- Nasen- Kiefer- und Ohrenuntersuchung
Um organische Ursachen abzuklären, wird zunächst der Hals-Nasen- und Ohrenraum untersucht. Dazu gehören eine Ohrenspiegelung, verschiedene Hörprüfungen, eine Gleichgewichtsprüfung sowie eine Untersuchung des Kau-Apparates.
Blutuntersuchungen
Blutuntersuchungen geben Aufschluss z.B. über die Höhe des Cholesterinspiegels oder eine Entzündung.
Apparative Untersuchungsmethoden
In Einzelfällen sind auch apparative Untersuchungen wie eine Ultraschalluntersuchung der Halsgefäße, eine Röntgenuntersuchung oder eine Kernspintomografie notwendig.
Chronischer Tinnitus ist oft nicht vollständig heilbar, der Patient kann jedoch lernen, die Ohrgeräusche so in seinen Alltag zu integrieren, dass er ein (fast) normales Leben führen kann.
Die Behandlung des komplexen chronischen Tinnitus in Kombination mit einer Depression erfordert ein umfassendes Therapiekonzept, das körperliche, psychische, und soziale Faktoren der Entstehung und Aufrechterhaltung beider Erkrankungen berücksichtigt.
Beratungsgespräch
Grundlage der Therapie ist ein umfangreiches Beratungsgespräch das über die Möglichkeiten und Grenzen therapeutischer Maßnahmen informiert. Der Arzt erarbeitet mit dem Patienten ein individuelles Krankheitsmodell sowie die konkrete Zielsetzung der Behandlung und entwickelt daraus mit ihm gemeinsam einen konkreten Therapieplan.
Der Patient lernt, dass er kein passiver Spielball seiner Erkrankung ist, sondern dass es wesentlich auf seine aktive Mitarbeit für den Erfolg der Behandlung ankommt.
Je nach den besonderen Erfordernissen des Krankheitsbildes werden individuelle Therapiebausteine aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten zusammengestellt und gewichtet.
Interdisziplinäre Therapiebausteine können sein:
Einsatz von Hörgeräten
Bei gleichzeitiger Hörminderung ist die frühzeitige Nutzung eines Hörgerätes wichtig. Durch das Hörgerät kann in manchen Fällen das Ohrgeräusch in den Hintergrund gedrängt werden.
Tinnitus-Maskierung
Mit einem Tinnitus-Masker oder Rauschgenerator wird dem Betroffenen ein angenehmes Dauergeräusch vermittelt. Damit soll das peinigende Tinnitus-Geräusch maskiert werden.
Tinnitus Retraining Therapie
Diese Therapie zielt darauf ab, das Gehör gegenüber dem Tinnitus zu desensibilisieren. Langfristig lernt das Gehör, sich an den Tinnitus zu gewöhnen und ihn zu überhören. Das kann mehrere Monate dauern und ist nicht bei jedem Patienten möglich.
Medikamentöse Therapie mit Antidepressiva
Vor allem, wenn Tinnitus in Kombination mit einer Depression auftritt, ist es wichtig, dass der Patient konsequent die notwendigen Antidepressiva einnimmt. Antidepressiva versetzen den Patienten in die Lage, aus einer Depression herauszukommen und aktiv zu seiner Krankheitsbewältigung beizutragen.
Sport
Regelmäßige körperliche Betätigung hilft, Stress abzubauen und wirkt damit günstig auf die meist vorhandene innere Unruhe des Tinnitus-Patienten. Zudem wirkt Sport auch stimmungsaufhellend und unterstützt so die Behandlung der Depression.
Psychotherapie
Eine Psychotherapie kann dem Patienten helfen, den seelischen Ursachen des Tinnitus und/oder seiner Depression auf den Grund zu gehen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Selbsthilfegruppen
Außerhalb der Betreuung durch Ärzte nehmen Selbsthilfegruppen eine zentrale Position bei der Integration des Tinnitus ein. Der Tinnitus-Patient erfährt, dass er nicht alleine steht mit seinem Problem. Ebenfalls Betroffene können praktische Ratschläge geben und von ihren Erfahrungen berichten.
Entspannungstechniken
Entspannungstechniken wie Yoga, Autogenes Training oder die progressive Muskelentspannung nach Jakobsen können den Patienten unterstützen, innerlich ruhiger und gelassener zu werden und damit besser mit Stress und der Belastung durch eine psychische Erkrankung umgehen zu können.