Wird ein akuter Schmerz nicht hinreichend behandelt, kann sich daraus ein chronifiziertes Schmerzsyndrom entwickeln. Während der akute Schmerz als körperlicher, dem Überleben dienender Mechanismus interpretiert wird, hat sich beim chronifizierten Schmerz ein komplexes Krankheitsbild eingestellt, das somatische, psychische und soziale Faktoren in das Schmerzempfinden integriert und damit als biopsychosoziale Erkrankung gelten kann.
Ebenso wie die Zahl der Patienten mit chronifiziertem Schmerzsyndrom konstant zunimmt, erhöht sich auch die Zahl der Depressionen in der bundesdeutschen Bevölkerung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Population von chronisch schmerzkranken und depressiven Patienten sich über weite Strecken überlappen und beide Erkrankungen bei einem Patienten angetroffen werden.
Mit zunehmender Anzahl körperlicher Beschwerden steigt für das Individuum das Risiko, eine Depression zu entwickeln. Betrachtet man umgekehrt die Patienten mit einer behandlungs-bedürftigen Depression, wird bei mehr als der Hälfte der Depressiven ein chronisches Schmerzsyndrom registriert. Dabei bleibt weitgehend ungeklärt, ob ein traumatisierendes Schmerzerlebnis oder eine langanhaltende Schmerzerkrankung zur Depression geführt hat, oder ob eine bestehende Depression die Sensibilität für das Schmerzempfinden gesteigert hat.
In vielen großen Studien konnte immer wieder dokumentiert werden, dass ein chronisches Schmerzerleben zur extremen Einschränkung der Lebensqualität führt. Der Weg von einem akuten Schmerz zu einer chronischen Schmerzerkrankung wird durch unterschiedliche Faktoren begünstigt, vor allem aber spielen Depressionen eine wichtige Rolle. Wird ein akuter Schmerz nicht rasch und möglichst vollständig beseitigt, steigt das Risiko für eine Somatisierung und die Wahrscheinlichkeit einer Chronifizierung erheblich an.
Fühlt sich ein Patient von seiner sozialen Umgebung nicht ausreichend angenommen, kann er die Zuwendung, die ihm in der akuten Schmerzsituation zuteil wird, stabilisieren, indem er unbewusst die Schmerzsymptomatik aufrecht erhält. Die Experten sprechen dann von einem Krankheitsgewinn, der die fehlende psychosoziale Zuwendung kompensieren soll.
Problematisch kann sich ein Schmerzerleben entwickeln, wenn es gleichzeitig zu anderen chronischen Erkrankungen kommt, oder wenn der Betroffene ohnehin auf seinem Lebensweg erheblichen psychosozialen Spannungen ausgesetzt ist, wie etwa der Verlust eines Partners, Ehescheidung oder auch finanzielle Belastungen wie drohende Insolvenz. Dann kann ein Rückzug in das Schmerzerleben stattfinden und der Schmerz wird chronisch.
Am häufigsten wird von depressiven Patienten über einen chronischer Rückenschmerz geklagt, gefolgt von Kopfschmerz oder Ganzkörperbeschwerden. Verspannungen oder Bauchschmerzen treten bei Depressiven ebenfalls häufiger in Erscheinung als bei einem gesunden Vergleichskollektiv.
Betrachtet man das Schmerzsystem, so ist das Hinterhorn des Rückenmarks ein zentrales Integrationszentrum, sozusagen das „Tor zum Schmerz“. Die Aktivität hemmender Systeme entscheidet darüber, ob der Schmerz weitergeleitet wird oder nicht. Hierbei spielen körpereigene Endorphine und bestimmte Nervenbahnen eine wesentliche Rolle. Die Aktivierung des hemmenden Systems führt zur zentralen Ausschüttung von Noradrenalin und Serotonin. Dabei handelt es sich um Neurotransmitter, die auch an der Entstehung einer Depression beteiligt sind. Werden diese Neurotransmitter gehemmt, kann das „Tor zum Schmerz“ geschlossen werden, und gleichzeitig werden wiederum die an der Depression beteiligten Neurotransmitter gehemmt. Weil aber Depression und Angst als wesentliche Chronifizierungsfaktoren des Schmerzes bekannt sind, können durch die medikamentöse Hemmung von Serotonin und Adrenalin beide Erkrankungen gebessert werden. Damit könnte verhindert werden, dass die depressive Stimmungslage das Schmerzempfinden steigert und dass das Schmerzerlebnis den Betroffenen in eine Depression führt.
Begleitet werden sollte eine medikamentöse Behandlung von Depression und Schmerz auch durch eine verhaltenstherapeutische oder kognitive Maßnahme, um die Zusammenhäng zu erklären und eigenen Ressourcen zur Bewältigung zu stärken.