Aus epidemiologischen Daten lässt sich ableiten, dass eine diabetische Neuropathie ungefähr bei 30 Prozent der stationären Diabetespatienten auftritt. Etwa 20 Prozent aller Diabetiker in der Gesamtbevölkerung sollen von der schmerzhaften Neuropathie betroffen sein.
Bisher galt als Erstmaßnahme die möglichst normnahe Blutzuckersenkung. Allerdings scheint die zu rasche Normalisierung des Blutzuckers nach zu langer Diabetesdauer per se eine zumindest vorübergehende Nerven- und Gefäßschädigung hervorrufen zu können (endoneurial ischaemia und microvascular neuronal damage).
Insofern ist der Zusammenhang der diabetischen Neuropathie mit einer sehr raschen Normalisierung der Blutglukose durchaus in Zusammenhang zu bringen. Professor Claudia Sommer von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie leitet eine große praktische Bedeutung von diesen Befunden ab.
Die Neurologen Christopher H. Gibbons und Roy Freeman von Beth Israel Deacones Medical Center der Havard medical school berichten in der Fachzeitschrift „Brain“ über eine Auswertung von 910 Patienten, die auf eine diabetische Neuropathie untersucht wurden. Anhand der Senkung des HbA1c um mindestens 2 Prozent unterschied man 168 Patienten, deren Blutzuckerkontrolle sich innerhalb von drei Monaten deutlich verbessert, von insgesamt 742 weiteren Diabetikern, der Blutzuckerkontrolle sich sehr viel weniger schnell oder überhaupt nicht verbesserte.
Die Autoren publizieren den auffälligen Befund in der ersten Gruppe, in der zu 62 Prozent eine behandlungs-induzierte Neuropathie, die einer akut einsetzenden Neuropathie entsprach, festgestellt wurde oder die Symptome einer Schädigung des autonomen Nervensystems zeigten.
Demgegenüber wurden bei Personen, deren HbA1c über mehrere Monate nicht um zwei Prozent reduziert werden konnte, nur zu 4,3 Prozent eine Neuropathie oder autonome neuropathische Störungen gesehen. Das Ergebnis der Untersuchung könnte allerdings von der Patientenauswahl beeinflusst sein, sollten die Autoren nur Personen in die Studie integriert haben, die auf Neuropathie hin untersucht wurden, so die Kommentare aus der Fachwelt.
Als größtes Risiko wurde von den Neurologen der in kürzester Zeit abgesenkte HbA1c ausgemacht, der aufgrund einer sehr schnellen Blutzuckernormalisierung des zuvor vernachlässigten Diabetes angestrebt wurde. Für einige Patienten exisitiert die Gefahr für die Entwicklung einer akuten diabetische Neuritis/Neuropathie, wenn Diabetes unerkannt bleibt und die Blutglukose lange Zeit vergammelte.
Den meisten Diabetologen ist das Problem einer akut auftretenden Neuritis nach drastischer Blutzuckersenkung aus der klinischen Praxis bekannt. Meist ist diese Symptomatik reversibel und welche therapeutischen Konsequenzen daraus abgeleitet werden sollten, wird wohl Gegenstand zukünftiger Forschungen sein.