Bei den einen kommt der Bedarf früher, bei den anderen später – spätestens, wenn beim Lesen die Buchstaben verschwimmen, muss eine Brille her. Viele Menschen greifen bei einer entstehenden Sehschwäche zu einer Fertig-Lesebrille. Diese werden inzwischen in der Drogerie, im Discounter oder an Tankstellen angeboten. Doch wie tauglich sind solche Modelle im Vergleich zu individuellen Brillen vom Optiker?
Immer mehr Deutsche können schlechter sehen. Diesen Trend bestätigt das Kuratorium Gutes Sehen e.V. bereits seit einigen Jahren. 40,1 Millionen Menschen in Deutschland (ab 16 Jahren) tragen eine Brille, das sind rund zwei Drittel aller Erwachsenen. Seit 15 Jahren bleibt diese Zahl konstant hoch. Auffällig ist, dass dabei der Anteil der 20-30-Jährigen weiter ansteigt. Lag 1954 diese Quote lediglich bei 11 Prozent, ist sie im Jahr 2008 auf 26 Prozent und 2015 wiederum auf 32 Prozent gestiegen.
Was hat dazu beigetragen, dass immer jüngere Menschen eine Brille brauchen? Dies wird auf die generell veränderten Lebensbedingungen zurückgeführt: Verbraucher verbringen immer mehr Zeit vor dem Bildschirm, am Tablet oder mit dem Smartphone. Dies belastet die Augen in besonderer Weise. Viele Arbeitnehmer sind dazu gezwungen, denn rund 18 Millionen Menschen arbeiten hierzulande überwiegend beruflich vor dem Bildschirm. Der Gebrauch von mobilen Endgeräten ist dagegen eher privat. Die kleine Schrift auf dem Smartphone führt nach Expertenmeinung zu einer schnelleren Kurzsichtigkeit.
Tatsächlich ist die Kurzsichtigkeit eine regelrechte Volkskrankheit geworden. Rund 25 Prozent aller Deutschen gilt inzwischen als kurzsichtig. Meist spielt dabei die Vererbung eine Rolle, diese Sehschwäche tritt meist schon in der Schulzeit, zwischen 10 und 12 Jahren, auf. Bei Kurzsichtigen ist der Augapfel etwas zu lang, so dass das scharfe Bild vor der Netzhaut im Auge entsteht. Bei Weitsichtigkeit ist der Augapfel dagegen etwas zu kurz. Ab 50 Jahren stellt sich bei sehr vielen Menschen eher die Altersweitsichtigkeit ein.
Erste Anzeichen für eine Alters(weit)sichtigkeit, die sogenannte Presbyopie, tauchen meist schleichend auf und das ab einem Alter von 35 Jahren. Objekte in der näheren Umgebung sind nicht mehr scharf abgebildet und die Einstellung auf unterschiedliche Entfernungen fällt schwer. Dann wird es Zeit, beim Optiker oder Augenarzt die aktuelle Sehstärke zu bestimmen und beim Fachmann die passende Brille zu ermitteln.
So wie jedes Augenpaar höchst individuell funktioniert und oft eine vorhandene Sehschwäche auf einem Auge stärker ist als beim anderen, so ist natürlich auch jedes Gesicht anders. Der wichtigste Vorteil einer individuell angefertigten Lesebrille ist die immer genau passende Sehstärke. Beim Optiker stehen viele verschiedene Fassungen zur Auswahl: Vollrand-, Halbrand- oder Randlosfassungen können in Optiker-Fachgeschäften in aller Ruhe ausgewählt und anprobiert werden.
Dabei muss eine solche Brille nicht mal teuer sein: Schon ab 17,50 € ist eine individuell gefertigte Lesebrille zu haben, inklusive drei Jahre Garantie. Dabei gehören die optimale Zentrierung der Gläser sowie perfekte Einschleifhöhe ebenfalls zum Standard.
Die klassische Lesebrille ist nur für das Sehen in der Nähe gut. Und so haben viele Fertiglesebrillen eine standardisierte Ausführung im Bereich von 1,0 bis 3,5 Dioptrien. Auch ausgewählte Fachgeschäfte bieten solche Fertigbrillen an – bei einer unproblematischen Sehschwäche und empfohlen als Zweitbrille.
Doch der Markt ist derzeit regelrecht überschwemmt von Billigangeboten. Billige Lesebrillen sind ab zwei Euro Verkaufspreis und selbst an Tankstellen zu haben. An einem Verkaufsständer findet die Wahl der Lesebrille per Ausprobieren statt. Wie gut solche Brillen wirklich zu ihren Trägern passen, hat die Stiftung Warentest in einer Studie untersucht. Das Ergebnis: Von zehn Testern haben nur zwei auf Anhieb die passende Brille für sich gefunden und das eher zufällig.
Der Hauptgrund dafür war eine unterschiedliche Sehschwäche der beiden Augen. Dieses Phänomen ist weitverbreitet und kann von einer Fertigbrille nicht ausgeglichen werden. Dies betrifft auch die 2,5 Millionen Brillenträger, die von einer Hornhautverkrümmung betroffen sind. Eine Fertigbrille kann eben auf Besonderheiten keine Rücksicht nehmen. Auf den ersten Blick war die ausgesuchte Brille gut. Wie schlecht die Billigbrille jedoch wirklich ist, haben die Tester erst im Vergleich zu einer individuell angepassten Sehhilfe erkannt.
Die günstigen Lesebrillen haben jedoch auch einige guten Seiten. Sie funktionieren gut als Zweitbrille, die an verschiedenen Orten zur Reserve bereitliegen. Die Optik der getesteten Brillengläser ist in Ordnung und die angegebenen Dioptrienzahlen stimmen ebenfalls. Der Preis dieser Brillen ist sicher unschlagbar. Das entschädigt für die schlechte Haltbarkeit der Billigbrillen. Die Tester mahnen allerdings die fehlende Auszeichnung solcher Brillen an: Sie sind nicht zum Autofahren und nur zum Nahsehen oder Lesen geeignet.
Zwar ist die Sehschwäche weit verbreitet und zum Teil auch vererbt, jedoch kann jeder dazu beitragen, dass unser wichtigstes Sinnesorgan bestmöglich unterstützt und trainiert wird. Nicht nur die verschiedenen Formen von Fehlsichtigkeit fällt dabei ins Gewicht. Durch die gestiegene Anforderung durch Computerarbeit, schlechtem Licht und häufigem Smartphone-Gebrauch werden die Augen trocken, lichtempfindlich und sie schmerzen. Die richtigen Lesebrillen sind lediglich eine Seh-Hilfe, für die Sehfähigkeit und Gesunderhaltung der Augen sind einige natürliche Hilfestellungen empfehlenswert.
Zum einen sorgt eine augenbewusste Ernährung dafür, dass die Netzhaut oder die Makula stark und gesund bleibt. In einigen grünen Gemüsesorten wie Broccoli, Spinat und Erbsen stecken Vitalstoffe, die die Netzhaut stärken, denn mit dem Alter nimmt beispielsweise der natürliche Gehalt an Lutein oder Zeaxanthin ab. Auch das Nachtsicht-Vitamin A sowie Kupfer und Selen sind nährend für das Auge.
Wie sehr ganzheitliche Faktoren für ein gutes Sehvermögen verantwortlich sind, hat schon der Augenarzt Dr. William Bates 1918 erkannt. In seinem Buch „Besser sehen ohne Brille“ weist er darauf hin, wie mit Entspannungsübungen gestresste Augen besser durchblutet und widerstandsfähiger werden können. Das Training von Augapfel und Augenmuskeln wirkt in jedem Alter und kann einer Verschlechterung der Sehfähigkeit vorbeugen. Ein solches Sehtraining ist eine wirksame und einfache Alternative zu immer stärkeren Brillen oder zu einer Laseroperation. Dies ist auch in den Anfängen einer beginnenden Sehschwäche wirkungsvoll.