Drei neu entdeckte genetische Veränderungen erhöhen das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, erheblich. Das haben Wissenschaftler einer internationalen Forschergruppe aus Bonn, München und Mannheim jetzt festgestellt. In der aktuellen Ausgabe Fachmagazins „Nature“ sprechen die Forscher von einem „aufregenden Schritt vorwärts“. Der Grund hierfür: Sie konnten drei Regionen im Erbgut identifizieren, die vergleichsweise häufig spontan mutieren. Träger dieser neuen Mutationen haben dann ein bis zu 15fach erhöhtes Risiko, an Schizophrenie zu erkranken. Weltweit erkrankt im Laufe ihres Lebens rund 1 Prozent aller Menschen an diesem schweren psychischen Leiden.
Schon seit langem wird angenommen, dass die Entwicklung einer Schizophrenie erblich bedingt sein kann. Allein durch Vererbung lassen sich die Krankheitsfälle aber nicht erklären: Da die Betroffenen oft keine Kinder bekommen, müsste das Leiden dann nämlich immer seltener werden. Das ist aber nicht der Fall: Weltweit liegt das Erkrankungsrisiko seit Jahrzehnten unverändert bei 1 Prozent.
Eine Erklärung sind spontane Veränderungen des Erbguts. Sind davon Gene betroffen, die mit der Hirnfunktion zu tun haben, kann eine Schizophrenie möglicherweise quasi aus dem Nichts neu entstehen. Normalerweise sind derartige Mutationen aber sehr selten. „Es gibt jedoch Erbgutregionen, die besonders anfällig für Mutationen sind“, erklärt Dr. Sven Cichon vom Forschungszentrum Life&Brain der Universität Bonn. „Nach derartigen Regionen haben wir gesucht und geschaut, ob sie etwas mit der Schizophrenie zu tun haben könnten“, sagte der Wissenschaftler. Im ersten Schritt verglich die Forschergruppe um Cichon das Erbgut gesunder Jugendlicher mit dem ihrer Eltern, um spontane genetische Veränderungen zu identifizieren. Hierbei fanden sie 66 Mutationen, die bei den Jugendlichen neu aufgetreten waren. „Dann haben wir bei fast 5.000 Schizophrenie-Patienten nachgeschaut, ob bei ihnen vielleicht eine oder mehrere dieser Mutationen auffällig oft vorkommen“, sagt Cichon.
Mit Erfolg: Gleich drei der 66 Mutationen tauchen bei den Patienten viel häufiger auf als bei Gesunden. Dabei handelt es sich jeweils um so genannte Deletionen, das bedeutet, bei den Betroffenen fehlen ganze Erbgutregionen mit mehreren Genen. Da der Mensch von jedem Gen üblicherweise zwei Kopien hat, kann er den Verlust einer Kopie oft ausgleichen – in diesem Fall allerdings nur teilweise. „Bei den von uns entdeckten Deletionen ist das Risiko deutlich erhöht, an einer Schizophrenie zu erkranken“, so der Experte. Die betroffenen Regionen scheinen also Gene zu enthalten, die etwas mit der Hirnfunktion zu tun haben. „Wir werden sie nun genauer unter die Lupe nehmen“, erläutert Dan Rujescu von der LMU München. Von den Entdeckungen erhoffen sich die Forscher vor allem neue Erkenntnisse zur Krankheitsentstehung. Langfristig könnte das auch zur Entwicklung neuer Medikamente führen. Außerdem lassen sich die Erkenntnisse für eine bessere Diagnostik nutzen.
Schuld ist niemand
Die Autoren betonen, dass die gefundenen Mutationen nur einen sehr kleinen Teil aller Schizophrenie-Fälle erklären können. „Dennoch ist dies ein aufregender Schritt vorwärts und ein guter Ausgangspunkt für weitere viel versprechende Untersuchungen“, freut sich Cichons Kollege Professor Dr. Markus Nöthen. Zwar gab es bereits zuvor Hinweise auf Gene, die bei der Entstehung einer Schizophrenie eine Rolle spielen. Ihr Beitrag ist aber viel moderater. „Eine Erhöhung des Krankheitsrisikos um das 10- bis 15fache wie in unserem Fall ist wirklich extrem.“ Ganz wichtig ist aus Sicht der Mannheimer Psychiaterin Professor Dr. Marcella Rietschel auch ein weiterer Aspekt: „Viele Eltern eines schizophreniekranken Kindes fragen sich, inwiefern sie selbst an der Krankheit schuld sind – sei es durch eine falsche Erziehung oder auch den Beitrag ihrer Gene“, sagt sie. „Unsere Studie zeigt aber ganz klar, dass spontane Mutationen die Krankheit auslösen können. Über eine Schizophrenie entscheidet dann ganz wesentlich der Zufall!“