Werden Kinder vernachlässigt, erleiden Misshandlungen oder machen stark belastende Erfahrungen, reagieren sie zunächst akut auf das Erlebnis. Aber selbst im Erwachsenenalter machen sich frühkindlich erlebte Traumata noch bemerkbar und viele Menschen leiden unter den Folgen negativer Kindheitserfahrung.
Das belegt eine Übersichtsarbeit, die in der Fachzeitschrift „Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz“ publiziert wurde. Es wird der aktuelle Forschungsstand zu Ursachen, Mechanismen und Folgen frühkindlicher Belastungen zusammengefasst. Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin (DGPM) empfiehlt eine frühzeitige psychosoziale Unterstützung von Eltern und Kindern während Stresssituationen, um den Kindern leidvolle Erfahrungen im Erwachsenenalter zu ersparen.
Wird eine Kindheit durch emotionale Vernachlässigung oder Traumatisierung belastet, erhöht sich das Risiko für eine Depression oder Angsterkrankung um das Doppelte, Essstörungen häufen sich um das Drei- bis Fünffache. Davon abgesehen treten auch somatische Beschwerden Zwei bis Vierfach häufiger auf, für die keine organischen Befunde erkennbar sind. Zu diesen zählt das chronic fatigue syndrom, ein multilokulärer Schmerz (Fibromyalgie), oder das Reizdarmsyndrom. Welche Mechanismen bei der Pathophysiologie von chronischem Stress und traumatischen Erfahrung in der frühen Kindheit zugrunde liegen, wurde in den letzten Jahren intensiv untersucht. „Eine zentrale Rolle spielt das Stresshormon Cortisol und entzündungsfördernde Botenstoffe des Immunsystems“, sagte Professor Ulrich T. Egle von der Klinik Barmelweid, Aargau/Schweiz, die sich der Psychosomatik und Rehabilitation widmet.
Befindet sich ein Kind in dauerhaften Stress, ändern sich die Menge und der tageszeitliche Rhythmus der Hormone; das Schmerzempfinden wird gesteigert und die Entzündungsneigung nimmt zu. Chronisch erhöhte Cortisolspiegel verursachen in bestimmten Hirnbereichen anhaltende Funktionsstörungen. Als Folge treten langfristige Konzentrationsstörungen sowie eine eingeschränkte Affekt- und Selbstregulation auf, und es stehen nur unzureichende Strategien zur Stressbewältigung zu Verfügung.
Die gesundheitlichen Konsequenzen machen sich bei Jugendlichen, die nicht mit Stress umgehen können, in der Nutzung von Suchtmitteln bemerkbar, Alkohol, Nikotin, Drogen und problematische Ernährungsverhalten sind dann an der Tagesordnung. Auch besteht ein Risiko für sexuelles Risikoverhalten, sagte der Forscher.
Damit würden Erkrankungen gefördert, die vordergründig keine psychische Ursache aufweisen, etwa der Typ 2-Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfall, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen und bestimmte Karzinome. Nicht zuletzt muss auch ein höheres Suizidrisiko konstatiert werden, und aus der Summe der Folgeerkrankungen ergibt sich eine Verkürzung der Lebenserwartung um 15 bis 20 Jahre.
Es gibt Präventionsansätze zur Identifizierung gefährdeter Familien, die bisher nur als Modellprojekt realisiert werden. Die frühzeitige Behandlung beginnender psychosomatischer Störungen bei Erwachsenen könnte hilfreich sein die Betroffenen zu erkennen und eine adäquate Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten.