Weltweit steigende Zahlen der Menschen mit Adipositas machen diese Erkrankung zum größten Problem im Gesundheitswesen. Weder die Bevölkerung noch die Ärzte sollten die Adipositas als Lebensstilfaktor interpretieren; immerhin gehört sie zu den fünf bedeutendsten Ursachen für relevante Gesundheitsstörungen.
Die noch immer vorherrschende Stigmatisierung von Menschen mit viel zu hohem Körpergewicht wegen vermeintlicher Disziplin- oder Willensschwäche muss endgültig gestoppt werden, sagte Professor Blüher aus Leipzig anlässlich eines Riemser-Symposiums auf dem diesjährigen Internistenkongress in Mannheim.
„Nicht essen und mehr bewegen“ sind Empfehlungen, die heutzutage nicht mehr funktionieren, weil kaloriendichte Lebensmittel immer und überall verfügbar sind, Stress und Ängste steigern die psychische Belastung und gemeinsam mit Schlafmangel wird die konstante Gewichtszunahme getriggert.
Die Warnungen aller Fachgesellschaften und Empfehlungen der Mediziner gleichen einer „mission impossible“ bei der größten therapeutischen Herausforderung, der nahezu alle beteiligten medizinischen Disziplinen oft hilf- und machtlos gegenüberstehen.
Blüher forderte eine Ätiologie-basierte Diagnostik zur Beseitigung der Auswirkungen einer gestörten Energiebilanz, die aus vermehrter Energiezufuhr und mangelndem Energieverbrauch ein physikalisches Ungleichgewicht präsentiert, das wieder zur ausgewogenen Balance geführt werden sollte.
Eine wirksame Kausaltherapie existiert nicht, resümierte Blüher, weil nicht bekannt ist, wann und warum mehr Energie aufgenommen als verbraucht wird. Unkontrolliertes Essen, emotionales Essen, echter Hunger (Insulinom/Hypoglykämie), psychiatrische Ursachen, Schlafmangel, Medikamente und scheinbares Suchtverhalten müssen differentialdiagnostisch abgeklärt werden. Auch kann ein verlangsamter Stoffwechsel als Ursache in Frage kommen. Die Geschlechtszugehörigkeit, die Genetik und neuroendokrine Störungen können ebenso wie die prandiale Thermogenese oder die Einnahme diverser Medikamente den kausalen Zusammenhang mit der Adipositas determinieren.
Um die richtige Therapieoption für den individuellen Patienten zu finden, sind Gesprächsdiagnostik, Laborabklärung (TSH oder Cortisol), sowie familienanamnestisch festgestellte Begleiterkrankungen abzuchecken. Jede Behandlung beginnt mit dem Basisprogramm aus Ernährungsumstellung und Bewegungsmotivation, zu dem auch die Verhaltenstherapie gehört, Medikamente Verwendung finden und als ultima ratio die bariatrische Chirurgie eingesetzt werden kann, sagte Blüher. Frustrierend für alle Beteiligten sind die Erfolge konservativer Maßnahmen ohne Medikation, weil damit nur einer von 500 Patienten sein Körpergewicht effektiv reduzieren kann. Man erreicht zwar häufig eine Verbesserung der allgemeinen Gesundheit, aber die Physiologie verteidigt immer ihr jemals erreichtes maximales Gewicht.
Wirklich effektiv führt nur die bariatrische Chirurgie zu einer Gewichtsreduktion, mit einem nicht zu vernachlässigenden Risiko für kurz- und langfristige Komplikationen und Nebenwirkungen. Mit Mangelversorgung an wichtigen Nährstoffen, Osteoporose und enormen Hautfalten nannte Blüher nur einige der imminenten Risiken.
Konservative Abnehmerfolge betragen langfristig nur ein bis zu fünf Prozent des Ausgangsgewichts; im Vergleich dazu werden nach einem chirurgischen Eingriff bis zu 25 Prozent des Ausgangsgewichts reduziert.
Diese große Lücke im Gesamtkonzept erfolgreicher Adipositastherapie kann durch unterstützende Medikamente gefüllt werden, die den Appetit regulieren, den Hunger unterdrücken und die Thermogenese erhöhen.